Lehrjahre sind keine Herrenjahre, oder: Wie Alex Onasch nach einer Weltreise im Belgischen Viertel eine Backstube eröffnete
In der Krise, heißt es, zeigt sich der wahre Charakter eines Menschen. Insofern überrascht es eigentlich nicht, dass die Deutschen im Corona-Winter eine lang vergessene Tradition wiederentdeckten: Brot backen. Denn mit einem Kilo Mehl, etwas Hefe und vor allen Dingen viel Zeit lässt sich einiges zaubern: Sauerteigbrot zum Beispiel, der Duft von Heimat und Geborgenheit, das zufriedenstellende Ergebnis von einem ganzen Stück Arbeit und jeder Menge Geduld. Deutschland ist ein Brotland. Rund 1,7 Millionen Tonnen Brot kauften deutsche Privathaushalte 2018 – und sind damit absolute Spitzenreiter im europäischen Brotkonsum. Ebenso satt ist die deutsche Brotvielfalt: Über 3.000 unterschiedliche Brotsorten zählt das Deutsche Brotregister des Deutschen Brotinstituts aktuell, die täglich in Deutschland gebacken und verkauft werden. Deutschland ist eben auch ein Bäckerland – und in der Pandemie kamen zahlreiche private Hobbybäcker dazu.
Eine interessante Trendkehrtwende, wenn man bedenkt, dass auch das Bäckerhandwerk seit geraumer Zeit von einer „Geiz ist Geil“ Mentalität heimgesucht wird und zunehmend darunter leidet. „Grundsätzlich muss man sagen: Der deutsche Bäckerei-Markt ist gesättigt. Brot und Backwaren kriege ich heutzutage überall: beim kleinen Handwerksbäcker, beim großen Filialisten, beim Discounter oder an der Tankstelle. Und natürlich gibt es da einen Trend, dass Leute sagen: ich möchte bitte auch das möglichst billige Brot“, sagt Alex Onasch. „Aber es gibt auch einen wachsenden Anteil an Menschen, die sagen: ich möchte wissen, wo mein Brot herkommt, ich möchte gute Qualität und um die sicherzustellen, bin ich auch bereit, einen anderen Preis dafür zu bezahlen.“
Alex ist Bäckermeister und Gründer der Backstube „prôt“ im Belgischen Viertel. Ihm ist es wichtig, dass wir von einer „Backstube“ sprechen. Denn bei Alex gibt es nicht das klassische Bäckerei-Vollsortiment. Hier gibt es keine Brötchen, kein Gebäck. Es gibt Brot. 8 verschiedene Sorten plus ein wechselndes Saisonbrot.
„Wie jetzt?!“
Als Alex seinen Laden 2019 eröffnete, sei er oft mit großen Augen angesehen worden. „Keine Brötchen? Wirklich nur Brot?“, hätten die Leute ungläubig gefragt. Seitdem beweist er, dass er auch mit einem kleinen Sortiment groß auffahren und mit vermeintlich einfachen Produkten hochwertigen Genuss zaubern kann.
„Wenn wir ehrlich sind, ist es doch so: Zum Bäckersterben gehören zwei Seiten, die Kunden und die Bäcker. Mir hat das Handwerk lange nicht mehr gefallen, weil es so festgefahren wirkt. Viele Bäcker probieren nichts Neues, erfinden sich nicht neu, machen immer den langweiligen Einheitsbrei aus Graubrot, Kasseler und Paderborner. Das haben wir alle schon hundert Mal erlebt. Ich wollte das anders machen.“
Mit viel frischem Wind wirbelt Alex das angestaubte Backhandwerk auf und schreibt seine eigenen Regeln. Das fängt mit seinen Broten an: „Ich möchte, dass meine Brote Charakter haben. Die wiegen zwischen 500 und 750 Gramm. Die haben eine fette Kruste: wenn du die Hand darauflegst, dann knacken die. Der Boden muss kräftig, auf Stein gebacken sein. Und wenn ich einen Laib aufreiße, verströmen die eine leichte Säure. Die dürfen ein geiles Porenbild haben, das darf schon ein bisschen wilder sein, denn gutes Brot, das muss leben“, erklärt Alex mit einer hörbaren Portion Leidenschaft in der Stimme.
Der frische Wind, er musste auch für seine Backstube her. „Es gibt gerade viele Bäckereien in und um Köln, die schließen und verkauft werden. Für mich war aber klar, dass ich keine traditionelle Bäckerei übernehmen, sondern etwas Neues machen wollte. Das macht es leichter, es anders zu machen, denn so kommt keiner in meine Backstube und sagt ‚Aber früher haben sie das so und so gemacht‘.“
Am bemerkenswertesten aber ist vielleicht Alex‘ eigenes Selbstverständnis. „Ja, ich bin gelernter Bäcker und habe einen Meistertitel. Aber eigentlich sehe ich mich als Selbständiger. Ich stehe morgens in der Backstube, mach den Ofen und die Brote. Aber nachmittags kümmere ich mich ums Marketing“, erzählt Alex. Sein Logo hat er zusammen mit einer Kölner Marketing- und Design-Studentin entwickelt. „Ich wollte in gar keinem Fall ‚Bäckerei Onasch‘ heißen, das war die einzige Vorgabe“, lacht Alex. „Denn seien wir ehrlich: Es nützt nichts, das tollste Brot zu backen, wenn du keinen funktionierenden Markenauftritt hast. Das muss auch sexy sein. Heute fragt jeder: Wieso eigentlich ‚prôt‘? Marketing und Storytelling sind super wichtig. Nur erwartet man das von einem klassischen Handwerk nicht.“
Bei Alex ist das Marketing genauso wichtig, wie die Qualität seiner Brote. Vor Kurzem hat er seine Website neu aufgesetzt. Nun kann man sein Brot online vorbestellen. „Vorher haben die Leute das über den Instagram-Kanal gemacht, aber das wurde schnell zu unübersichtlich. Jetzt wird mit jeder Bestellung direkt ein Bon an die Kasse geschickt, der Prozess ist optimiert. Aber ich arbeite auch an anderen Baustellen, da ist beispielsweise die Kooperation mit Gaffel. Genau dieser Arbeitsmix ist es, der mir total Spaß macht“, sagt Alex.
Vom guten alten Handwerk zur modernen Trendbackstube
Die viele Arbeit zahlt sich aus. Als Alex 2019 seine Backstube eröffnete, startete er mit 2 Brotsorten und 2 Mitarbeitern: er stand allein in der Backstube, seine damalige Freundin im Verkaufsraum. Heute beschäftigt er zwei weitere Bäcker und ein Team aus insgesamt 8 Leuten, die die 9 Brote backen und verkaufen. „Das ist super viel Verantwortung. Aber ich wollte immer schon mein eigener Herr sein. Wenn ich morgens nicht aufstehe, habe ich abends eben auch nichts geleistet“, sagt Alex. Davon, dass er mit dem guten alten Handwerk lange haderte, ist heute nichts mehr zu spüren.
„Ich denke, dass sich in unserer Branche noch viel verändern muss – und auch kann. Denn für viele der Probleme, die das Bäckerhandwerk hat, gibt es auch Lösungen. Man muss sich nur trauen, es auch mal anders zu machen. Ich hab es immer gehasst, zu unmöglichen Zeiten in der Backstube zu stehen. Deswegen macht meine Backstube erst um 10 Uhr auf und meine Jungs stehen morgens zu einer relativ humanen Zeit am Ofen“, erklärt Alex.
Lehrjahre sind keine Herrenjahre, oder: Eine Weltreise ins Belgische Viertel
Die Freiheit, die Alex sich heute nimmt, ist hart erarbeitet. „In meinem ersten Bäcker-Praktikum haben die mich 3 Wochen in die Spülküche gestellt. Ich bin trotzdem Bäcker geworden“, sagt Alex. „Vielleicht wäre Abi der bequemere Weg gewesen. Aber wenn man Handwerker ist – und aktuell gibt es ja nicht viele davon – und man macht seinen Meister und sich dann selbständig, dann muss man sich vor niemandem verstecken. Nur: Man muss sich trauen, seinen eigenen Weg zu gehen. Von nix kütt nix.“
Es überrascht daher wenig, dass Alex sich nach seiner Gesellenprüfung im Oberbergischen über eines klar war: Wer alles anders machen will, der braucht einen besonderen Lebenslauf. „Also hab ich Urlaubsregionen gegoogelt“, grinst Alex. In der Schweiz habe er dann 4 Monate Brötchen „bis zum Umfallen“ gebacken. Anschließend habe er 4 Monate in einer Bäckerei auf Sylt gearbeitet. Über die Meisterschule habe er dann schließlich seinen ersten Job gefunden, der ihn für 3 Jahre in eine deutsche Bäckerei in Moskau verschlägt. Zurück in Deutschland heuert er bei der Firma Heuft aus der Eifel an, sieht als Anwendungstechniker mehr als 150 Backstuben von innen. „Aber ich habe in all der Zeit immer wieder festgestellt: Für andere zu arbeiten, damit werde ich nicht glücklich. Mich selbständig zu machen, hat mich sehr viel Mut gekostet. Schließlich hatte ich einen wirklich krisensicheren Job, auch viele Benefits. Aber am Ende des Tages wollte ich für mich selbst krücken. Ich glaube, das ist eine Typfrage,“ erzählt Alex.
Dass er seine Backstube in Köln eröffnet, sei dann schnell klar gewesen. „Ich zähl mich als Oberberger noch zum kölschen Schlag. Deswegen kann ich sagen: Köln ist die wunderschönste hässlichste Stadt, die es gibt. Was die Stadt ausmacht, ist der Schlag Mensch: Hier sind die Leute herzlich, direkt und ehrlich. Ich bin total glücklich hier.“
Die anfänglich ungläubigen Blicke über sein kleines, aber feines Brotsortiment sieht Alex mittlerweile nur noch selten. Mittlerweile kämen die Leute sehr gezielt in seine Backstube („Das sehe ich auch über den Website-Traffic“), um sein gutes altes Handwerk in Mitten einer modernen Trendbackstube im Belgischen Viertel durch die große Glasscheibe zu beobachten, die dicke Kruste knacken zu lassen und einen frisch gebackenen Laib lebhaft entzwei zu reißen – ohne die ganze Arbeit in der eigenen Küche macht das auch gleich viel mehr Spaß.
prôt – Von Alex handgebacken
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